Abschätzige Blicke, Blossstellungen, Vorenthalten von Informationen, Verbreiten von Gerüchten – und das über mehrere Wochen bis Monate. Mobbing ist für Betroffene eine Qual und führt zu einer psychischen Destabilisierung sowie, in letzter Konsequenz, zu ernsthafter Erkrankung. Vor Kurzem haben wir an dieser Stelle besprochen, wie es zu Mobbing kommt und was man als betroffene Person dagegen tun kann («Mobbing – was nun?»). Und wir haben vorgerechnet, dass ein Mobbingfall ein Unternehmen ungefähr ein Jahresgehalt der Betroffenen kostet, etwa wegen Produktivitätseinbussen, Krankheitsausfällen, Ausgaben für juristische Auseinandersetzungen, Mediationen. Das sind hohe Auslagen, die leicht vermieden werden könnten. Darüber hinaus wiegt noch schwerer, dass die Stimmung im Unternehmen «vergiftet» ist und die Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter darunter leidet. Die Hauptursachen von Mobbing liegen dabei nicht in der psychischen Veranlagung der «Opfer» oder der «Täter», sondern in strukturellen Mängeln der Unternehmensführung. Restrukturierungen, eine schlechte Arbeitsorganisation, erhöhte Arbeitsbelastung und Personalabbau fördern Angst vor einem Arbeitsplatzverlust – und lassen ein Klima des internen Wettbewerbs entstehen, in dem Mobbing einen guten Nährboden findet. Wir haben bei Klaus Schiller-Stutz, Fachpsychologe und renommierter Mobbingexperte, nachgefragt, was Unternehmen dagegen tun können.
Herr Schiller-Stutz, sollte man, um Mobbing zu verhindern, Konflikten möglichst keinen Raum geben?
Nein! Konflikte gibt es immer und überall. Es muss vielmehr ein positives Denken einsetzen: Konflikt als Chance. Das ist das Zentrale. Alles andere ist Verleugnung der Realität und führt letztendlich zu Mobbing.
Inwiefern spielt Stress eine Rolle bei Mobbing?
Je grösser der Druck und Stress ist, desto stärker verändert sich die Wahrnehmung. Dadurch passieren Fehler, was wiederum ein Nährboden ist, um Sündenböcke zu suchen. Eine Grundlage für Mobbing. Darum ist es wichtig, dass Unternehmen die Gesundheitsförderung ernst nehmen und Stressanalysen durchführen. Die meisten Leute denken, das sei teuer. Nein, wegschauen und schweigen – das ist teuer. Mithilfe von www.stressnostress.ch können Unternehmen die eigenen Stressoren online selbst analysieren.
Rechnen Sie aufgrund der aktuell wirtschaftlich angespannten Situation mit mehr Mobbingfällen?
Ja, ganz klar. Aufgrund des aktuellen wirtschaftlichen Drucks sowie durch die rasante Entwicklung der Social Media glauben einige Führungskräfte, das Unternehmen innert kürzester Zeit umstrukturieren zu müssen. Solche Situationen verändern aber eine Teamdynamik.
Was kann ein Unternehmen tun, damit es gar nicht zu Mobbing kommt?
In einer gesunden Unternehmenskultur ist man sich bewusst, dass jeder Mensch Schwächen hat und unter Stress die Wahrscheinlichkeit steigt, Fehler zu machen. Daher braucht es in einem Betrieb Toleranz, ein wirkungsvolles Fehlermanagement und betriebliche Gesundheitsförderung. Viele Mobbingfälle, die ich begleitet habe, waren auf Missstände in einem Betrieb zurückzuführen, über welche nicht gesprochen werden durfte. Mitarbeiter, die diese intern mitteilten – auch internes Whistleblowing genannt –, wurden nicht ernst genommen, sondern zunehmend schikaniert. In den Betrieben sollte ein Umdenken einsetzen und eine Kultur geschaffen werden, in der Arbeitnehmer ihre Chefs frühzeitig auf Fehlentwicklungen hinweisen dürfen. Ausserdem sollte die Möglichkeit bestehen, sich über negative Emotionen wie Angst, Ärger, Neid oder Eifersucht auszutauschen, z.B. in moderierten Gesundheitszirkeln.
Wie sollten Führungskräfte auf einen Mobbingfall reagieren?
Sie müssen den Mitarbeiter ernst nehmen und nachfragen: Seit wann wird er gemobbt? Wie viele Personen sind involviert? Die Namen der Personen sind dabei aber unwichtig. Welche Mobbinghandlungen liegen vor? Ausserdem sollte man dem Mitarbeiter versichern, dass das Gesagte unter Schweigepflicht steht und nicht in die Personalakte kommt. Dabei sollte man nach dem «No-Blame-» oder «Shared-Responsibility-Approach» handeln. Das heisst, auf Schuldzuweisungen ebenso zu verzichten wie auf ein Sündenbock- oder Täter-Opfer-Denken. Vielmehr geht es darum, miteinander Lösungen zu finden.
Es gibt also nicht «den Täter» und «das Opfer»?
Die Frage sollte nicht lauten: Wer ist Opfer, ist Täter? Sondern: Liegt eine Mobbingsituation vor, und was sind die Ursachen? Denn Mobbing kann man objektiv nachweisen. Ausserdem ist es zu einfach, einen Sündenbock zu suchen in der Hoffnung, dass danach alles wieder in Ordnung ist. Das Mobbing wird weiter andauern oder sich wiederholen, da meist mehrere Personen beteiligt sind – sei es als «Opfer», «Täter» oder «Ermöglichmacher». Also braucht es die prozessartige, systemische Analyse einer Abteilung oder eines ganzen Unternehmens.
Wer ist innerhalb des Unternehmens für den Fall verantwortlich? Es können sich ja auch Loyalitätsprobleme ergeben.
Verantwortung kann man nicht delegieren. Aber wenn der direkte Vorgesetzte befangen ist, kann er das HR oder externe Fachleute hinzuziehen. Da gibt es keine Ausreden. Im Rahmen der gesetzlichen Fürsorgepflicht ist der Gesundheitsschutz zudem klar definiert: Er ist Sache der Arbeitgeber.
Wie kann man Mobbing nachweisen?
Mittels einer Mobbinganalyse durch eine Fachperson. Es braucht Mut, hinzuschauen, zu Fehlern zu stehen und lösungsorientierte Massnahmen einzuleiten, anstatt Leute zu verdächtigen oder zu entlassen. Die besten Lösungen kommen übrigens oft von den Mitarbeitern, die vorher als die Mobber dastanden. Man muss wieder lernen, sich zu versöhnen, das gehört auch dazu. Ja, auch im Büro müssen wir Beziehungsarbeit leisten.
Zur Person
Klaus Schiller-Stutz ist Fachpsychologe/Psychotherapeut FSP mit Praxis in Hedingen und in Zürich. Er hat langjährige Beratungserfahrung in Konflikt-/Mobbingsituationen von Einzelpersonen, Teams und Betrieben sowie als Einzel-, Paar- und Familientherapeut. www.schiller-stutz.ch