Frau Scheuner, Sie nehmen am diesjährigen Frauenstreik teil?
Ja, zusammen mit meinen beiden Töchtern, die zehn und dreizehn Jahre alt sind. Ich möchte sie frühzeitig für das Thema sensibilisieren. Bei Careerplus erhalten unsere Mitarbeitenden einen halben Tag frei, wenn sie am Streik teilnehmen möchten. Wir wünschen uns, dass der Frauenstreiktag ein Tag wird, der wahrgenommen wird.
Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dass Lohngleichheit auch zwanzig Jahre nach dem Gleichstellungsgesetz noch keine Realität ist, ist für mich nicht nachvollziehbar. Studien belegen, dass es zwischen Mann und Frau einen nicht erklärbaren Lohnunterschied von 7 bis 9 Prozent gibt. Bei Frauen nimmt man implizit an, dass sie Mutter werden und sie ihre Karriere nicht weiterverfolgen. Deshalb erhalten sie oft schon von Anfang an einen tieferen Lohn. Frauen treten zudem weniger fordernd auf, während Männer gute Lohnverhandler sind. Wir sehen leider, dass es Lohnunterschiede in allen Branchen und auf allen Lohnniveaus gibt. Überraschenderweise – oder auch nicht – wird die Lohnschere grösser, je höher die Position ist.
Und es gibt vergleichsweise wenig Frauen im Kader ...
Aus diesem Grund habe ich meine Meinung bezüglich Frauenquote geändert. Es passiert nichts ohne Quote. Die Quote bräuchte es aber nur so lange, bis eine Eigendynamik und Selbstverständlichkeit erreicht wäre.
Stichwort «Chancengleichheit»?
Ja, das Thema ist mir sehr wichtig. Es gibt zum Beispiel immer noch keine echte Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Der Schlüssel wäre eine partnerschaftliche Teilung der unbezahlten Arbeit, also der Haus- und Erziehungsarbeit. Konkret: Wer holt die Kinder aus der Kita? Wer bleibt zu Hause, wenn das Kind krank ist? Wer reduziert das Pensum? Solange Frauen den Hauptanteil der Familienarbeit übernehmen, wird es keine Chancengleichheit geben. Natürlich ist das eine private Entscheidung. Es geht aber darum, unsere Stereotypen zu hinterfragen und neue Rollenbilder zu erarbeiten.
Sie sind Mutter und Geschäftsführerin im Top-Sharing bei Careerplus. Dieses Modell ist in der Schweiz noch sehr selten. Haben Sie Diskriminierung im Berufsleben erfahren?
In Männerrunden werden meine Argumente oft nicht wahrgenommen. Formuliert dieselben Argumente später ein Mann, werden sie gehört. Es kann auch passieren, dass meine Argumente plötzlich einem Mann zugeschrieben werden. Eine weitere Herausforderung, die ich selbst erfahren habe: Männliche Vorgesetzte gehen davon aus, dass derjenige gute Arbeit leistet, der die höchsten Präsenzzeiten vorweisen kann. Eine Frau mit Kindern kann und will da nicht mithalten. Die Lösung ist, dass die Zielerreichung der Faktor zur Erfolgsmessung wird. Denn Frauen brauchen zeitliche Flexibilität.
Welche Lösungen sehen Sie in Bezug auf Lohnungleichheit?
Es ist eine kulturelle Gepflogenheit, dass man über Löhne schweigt. Aber wenn Mitarbeitende die Löhne voneinander kennen, hat dies einen disziplinierenden Einfluss auf das Unternehmen. Denn es muss in der Lage sein, jeden Lohn zu begründen. Bei Careerplus sitze ich mit unseren Führungsleuten zweimal im Jahr zusammen, um die Löhne aller Mitarbeitenden miteinander zu vergleichen. Der interne und auch der externe Vergleich der Löhne ist zentral.
Das bedeutet also, Lohntransparenz fördert Lohngerechtigkeit?
Davon bin ich überzeugt. Und innerhalb des Unternehmens ist es zentral, dass auf der Stufe Management Frauen und Männer einigermassen egalitär vertreten sind. Man darf auch Teilzeitstellen im Verhältnis zu Vollzeitstellen nicht schlechter entlöhnen. Ausserdem sollte man Frauen dazu ermutigen, mit einem Teilzeitpensum weiterhin Karriere zu machen, und solche Stellen auch anbieten.
Haben Sie konkrete Tipps für KMU, wie sie das Thema Lohngleichheit angehen können?
Sie sollten zuerst auf der normativen Ebene die Lohntransparenz verankern und anschliessend auf die Lohnpolitik und die Systeme herunterbrechen. Insbesondere die Einstiegslöhne sind entscheidend. Und dann braucht es einen transparenten Bewertungsprozess mit Zielen. Von alledem hängt die Lohnerhöhung ab. Weiter muss man in den Stellenausschreibungen aufpassen, dass man nicht geschlechterspezifisch formuliert. Ausserdem muss Teilzeitarbeit auch auf Führungsstufe möglich sein – ab 60, 70 Prozent ist dies organisierbar. Wir bei Careerplus sind der lebende Beweis dafür.
Warum sollten Unternehmen die Lohnfrage überhaupt so ernst nehmen?
Vor allem die relative Lohngerechtigkeit ist zentral. Also das individuelle Empfinden, dass der eigene Lohn fair ist im internen Vergleich. Wenn Unternehmen diesen Aspekt nicht im Griff haben, beeinflusst dies die Motivation und die Identifikation der Mitarbeitenden massiv.
Careerplus führt Lohnstudien durch. In welchen Branchen besteht in Ihren Augen Handlungsbedarf in Sachen Gleichstellung?
Wir weisen den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen sehr bewusst nicht aus. Dies würde ihn nur weiter zementieren. Generell kann man sagen, dass es in allen Branchen, Bereichen und Positionen zwischen Männern und Frauen eine Lohnschere gibt. Was mich überrascht: Die Differenz zwischen Mann und Frau wird grösser, je höher die Position ist.
Zum Schluss: Weshalb existiert immer noch – oft trotz gutem Willen – keine echte Gleichberechtigung in Unternehmen?
Die Arbeitswelt wurde von Männern definiert und ist darum auf die Bedürfnisse und die Werte von Männern ausgerichtet. Die Diskriminierung, die dadurch passiert, ist in vielen Fällen keine Absicht. Männer sind sich nicht bewusst, dass die Norm vom Mann ausgeht. Das beginnt im Kindesalter: Mittlerweile ist es gesellschaftlich akzeptiert, wenn Mädchen bei Bubenspielen mitmachen. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Man hat Mühe, wenn Buben mädchenhaftes Verhalten zeigen. Diese Wertung, das Weibliche sei nicht gut, nehmen die Buben unbewusst mit. Daher nochmal: Wir müssen an unseren
Stereotypen und Rollenbildern arbeiten, um etwas nachhaltig zu verändern.