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Chancen sind essenziell

Wie fade und langweilig wäre die Welt, wenn wir alle gleich wären. Gerade die Durchmischung birgt viel Potenzial für den beruflichen Alltag. Doch Chancengleichheit ist noch immer nicht überall selbstverständlich. Ein Gespräch über Chancen, besondere Berufsbilder und durchmischte Teams.

10. December 2020

Frau Teismann, was verstehen Sie als Projektleiterin beim Hilfswerk HEKS unter dem Schlagwort Chancengleichheit?

Alle Menschen sollten gemäss ihren Kompetenzen und Möglichkeiten die gleichen Startbedingungen erhalten und entsprechend ihren Fähigkeiten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Religion, Schulabschluss oder Herkunft. Wenn wir unsere Verschiedenheit bestmöglich einsetzen, profitieren wir alle davon. Das HEKS-Projekt MosaiQ möchte hier ansetzen und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Chancengleichheit nicht nur auf einem Papier vermerkt, sondern vor allem auch in der Gesellschaft gelebt werden muss. 

Im Rahmen von MosaiQ unterstützen Sie hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten, eine Stelle zu finden. Was ist das Hauptproblem?

Das Projekt MosaiQ fokussiert sich auf migrierte Personen mit einer tertiären Ausbildung oder mit Berufserfahrung. Diese Leute haben oft Mühe, eine ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechende Stelle zu finden. Zwar ist es kein Problem für qualifizierte Arbeitskräfte, irgendetwas zu finden – aber dann arbeitet beispielsweise eine Zahnärztin als Reinigungskraft am Flughafen. Das ist nicht nur für sie frustrierend, sie nimmt auch einer anderen Person die Stelle weg, die tatsächlich keine Ausbildung hat. Das ist widersinnig. 

Wo liegen die grössten Stolpersteine?

Eine Hürde ist die Anerkennung der ausländischen Diplome und Ausbildungen, eine andere sind die Deutschkenntnisse. Andererseits existieren einige Berufsbilder in der Schweiz gar nicht. Beispielsweise war ein Mann in unserem Programm, der als Mineraloge auf Steine spezialisiert ist, die hier unbekannt sind. Oder eine Frau aus Südamerika, die Betriebsleiterin einer Geflügelfarm mit Millionen von Tieren war – solche Betriebe gibt es hier ebenfalls nicht. Als Beraterinnen bei MosaiQ müssen wir oft kreativ sein, um passende Lösungen für Menschen mit sehr speziellen Profilen zu finden. 

Wie geht es den betroffenen Personen dabei?

Für sie ist die Suche zermürbend. Es ist ein Teil unserer Arbeit, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und wieder bewusst zu machen, dass ihre Ausbildung, Erfahrung und ihre Diplome etwas wert sind. Es hat nichts mit ihnen als Person zu tun, dass sie Mühe haben, eine passende Stelle zu finden. Manchmal braucht es einen langen Atem. In vielen Fällen gelingt es uns aber, eine Anschlusslösung zu finden, sei das ein Deutschkurs, ein Praktikum, ein Ausbildungsplatz oder gar eine Stelle. 

Welche Massnahmen sind Ihrer Meinung nach nötig, um das Recht auf einen gleichen Zugang zu Lebenschancen zu gewährleisten?

Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, wir müssen noch mehr zeigen, was der Mehrwert der Chancengleichheit ist. Und dass wir keine Angst gegenüber dem Fremden oder Anderen haben müssen. Wir vom HEKS können dazu beitragen, indem wir von unseren Beispielen erzählen und zeigen, dass es sich lohnt, jemandem eine Chance zu geben. 

Warum ist Chancengleichheit wichtig? Was ist ihr Mehrwert?

Für die Unternehmen sind qualifizierte Migrantinnen und Migranten eine Bereicherung in Sachen Know-how. Sie bringen ihr Wissen und vielleicht neue Sichtweisen mit. Auch hinsichtlich der Chancengleichheit zwischen Mann und Frau ist es erwiesen, dass gut durchmischte Teams viel produktiver sind als reine Männer- oder Frauenteams. Meiner Meinung nach ist eine Durchmischung für die Gesellschaft generell bereichernd. Man denke allein ans Essen: Als die ersten italienischen Gastarbeiter in die Schweiz kamen, kannte man hier weder Pizza noch Pasta. 

Hat Corona Auswirkungen auf Ihre Arbeit oder generell auf die Chancengleichheit? 

Beim Projekt MosaiQ profitieren wir eher von der Situation, da Unternehmen momentan gerne Praktikumsplätze anbieten. Grundsätzlich wird die Chancengleichheit aber durch Corona sicher herausgefordert. So sind beispielsweise Leute stark benachteiligt, die kein Geld für einen Computer haben. Für andere kann Corona eine Chance sein, denn die Digitalisierung hebt Grenzen auf. Wir haben beispielsweise Teilnehmer, die wegen ihres Aufenthaltsstatus nicht ins Ausland reisen dürfen. Wenn Besprechungen nun online stattfinden, kann dies für sie ein Vorteil sein.

Was können wir als Gesellschaft dazu beitragen, dass Chancengleichheit vorankommt?

Wir können offen und neugierig bleiben und uns für die andere Person interessieren. Wir haben vermutlich alle schon einmal eine Chance erhalten und durften uns bewähren. Chancen sind essenziell – unabhängig vom sozialen Hintergrund. Daran dürfen wir uns immer wieder selbst erinnern.
 

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Susanne Teismann (links) ist Projektleiterin beim HEKS und verantwortlich für die Projekte «MosaiQ» und «Neue Gärten Zürich». Auch im Bild ist Ihre Kollegin Sarah Steiner (rechts).

Engagement Careerplus

Careerplus und das HEKS verbindet eine langjährige Partnerschaft mit dem Schwerpunkt «Chancengleichheit». Careerplus unterstützte bis letztes Jahr das Projekt MosaiQ und bietet aktuell kostenlos CV-Workshops für Stellensuchende in Zürich, Bern und Burgdorf an. Ausserdem spendet Careerplus seit vielen Jahren jährlich einen Betrag zu Weihnachten. 

In der Westschweiz bietet Careerplus die kostenlosen Workshops für Stellensuchende in Zusammenarbeit mit der IPT - intégration pour tous, der Stiftung für die berufliche Integration von Menschen an.