Eigentlich sind sie abgeschafft – und doch immer wieder ein Thema: Codes in Arbeitszeugnissen. Doch gibt es tatsächlich versteckte Botschaften? Und wie schlimm ist ein kritisches Arbeitszeugnis überhaupt?
11. February 2021
«Das Wichtigste in einem Arbeitszeugnis ist der letzte Satz», sagt die Rekrutierungsspezialistin Chantale Käser. «Ich will wissen, warum das Arbeitsverhältnis beendet wurde und was der Arbeitgeber zum Austritt sagt. Je mehr der Dank zum Ausdruck gebracht wird, desto höher wird die Leistung des Mitarbeitenden bewertet.»
Steht am Ende des Abschlusszeugnisses jedoch nur, dass der Mitarbeitende das Unternehmen per Ende Monat verlässt, lässt das viele Fragen offen. Wer hat gekündigt? «Weglassungen lassen viel Raum für Interpretation», bestätigt Chantale Käser. Ist jemand zum Beispiel mit Führungsaufgaben betraut, im Arbeitszeugnis werden diese aber nicht beurteilt, ist das ein schlechtes Zeichen. Rekrutierungsverantwortliche sollten bei Bewerbungen daher ein besonderes Augenmerk darauf legen, ob die Arbeitszeugnisse lückenlos die Informationen im Lebenslauf bestätigen. Fehlt die Schlussformel gänzlich, kann dies im Vorstellungsgespräch unter Umständen geklärt werden.
Gibt es sie oder nicht?
Grundsätzlich sind Arbeitgeber per Gesetz verpflichtet, ihren austretenden Mitarbeitenden am letzten Arbeitstag ein Zeugnis auszuhändigen. Dieses muss wahr, klar, vollständig und wohlwollend formuliert sein – und keine Steine in den Weg legen. Gleichzeitig soll das Arbeitszeugnis Raum für Kritik lassen. Das kann manchmal ein Spagat sein. Und genau an dieser Stelle kommen die berühmt-berüchtigten Codes ins Spiel. Also Floskeln und Formulierungen, die versteckte Botschaften transportieren sollen, wenn sich Arbeitgeber nicht getrauen, die Wahrheit zu sagen. Zwar sind Codes nicht mehr zulässig – trotzdem sind sie noch da. Vor allem unbewusst in den Köpfen der Angestellten und der Arbeitgeber. «Oft ist es auch Unwissen», sagt Chantale Käser. Vielen kleineren Unternehmen sei es gar nicht bewusst, dass bestimmte Wörter im Zeugnis codiert wirken können. Ein Grossunternehmen mit einer professionellen HR-Abteilung lege hingegen das Augenmerk viel stärker auf solche Finessen. Bei einem Arbeitszeugnis gilt es also immer, auch den Absender zu berücksichtigen.
Oft ist es Unwissen: Viele kleinere Unternehmen sind sich nicht bewusst, dass bestimmte Wörter codiert wirken können."
Chantale Käser,
Rekrutierungsspezialistin
Klare und konkrete Formulierungen
Wichtig in einem Zeugnis können die unscheinbaren Wörter sein: sehr, ausserordentlich, stets, vollumfänglich, in bester Weise, hervorragend, fundiert. Der HR-Experte Peter Häusermann schreibt etwa in seinem Buch «Arbeitszeugnisse – wahr, klar und fair», dass «Wir waren mit seinen Leistungen zufrieden» nichts anderes als das Gegenteil heisst. Erst wenn vor dem Wort «zufrieden» ein Adverb stehe wie «sehr» oder «äusserst», könne man davon ausgehen, dass die Formulierung auch halte, was sie verspreche. Solche Informationen setzen aber ein entsprechendes Wissen voraus, sowohl beim Absender als auch beim Empfänger des Zeugnisses.
Was nun also ein Code ist und was nicht und ob er wissentlich oder aus Unwissen formuliert wurde, ist nicht immer eindeutig. Selbst wer sich ausdrücklich gegen Codes ausspricht, kann beim Schreiben in die Falle tappen. «Je klarer, messbarer und konkreter man formuliert, desto mehr schwindet aber die Gefahr», sagt Peter Häusermann auf Anfrage von Careerplus.
Je klarer, messbarer und konkreter man formuliert, desto geringer ist die Gefahr, unbeabsichtigt Codes zu formulieren."
Peter Häusermann,
HR-Experte
«Niemand ist perfekt»
Häusermann plädiert für etwas an sich Profanes: «Anstand.» So müsse kein Arbeitgeber darauf verzichten, im Zeugnis Kritik zu äussern, nur weil er den Konflikt mit dem austretenden Mitarbeiter scheue. «Wenn Kritik nicht zum ersten Mal via Arbeitszeugnis laut wird und diese dazu moderat formuliert ist, gibt es keine Probleme», ist sich Häusermann sicher. Und meint damit erstens, dass ein Mitarbeiter nicht kalt erwischt und wahrscheinlich auch einverstanden sein wird, wenn konstruktive kritische Beurteilungen nicht erst beim Austritt anfallen, sondern eben regelmässig – etwa im Rahmen von Mitarbeitergesprächen. Der gleichen Meinung ist Chantale Käser: «Ein Arbeitszeugnis sollte das ganze Arbeitsverhältnis widerspiegeln und keine Überraschung für den Arbeitnehmer sein.» Und sie fügt etwas Wichtiges an: «Niemand ist perfekt. In einem Arbeitszeugnis dürfen auch Schwächen Platz haben.» Stünden nur Superlative in einem Zeugnis, fände sie das eher suspekt.
Arbeitszeugnis vs. Arbeitsbestätigung
Auch die Form des Zeugnisses ist eine Aussage: Kann ein Bewerber nach einem Arbeitseinsatz, der länger als drei Monate gedauert hat, nur eine Bestätigung vorweisen, verheisst das nichts Gutes. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Leistungen des Arbeitnehmers ungenügend waren und der Arbeitgeber deshalb darauf verzichtet hat, diese zu beurteilen. Denn im Unterschied zum Arbeitszeugnis, das Auskunft über Leistung und Verhalten des Mitarbeiters gibt, beinhaltet eine Arbeitsbestätigung lediglich Informationen zum Aufgabengebiet, zur Funktion und zur Anstellungsdauer. Allerdings kann ein Arbeitnehmer auf einem Arbeitszeugnis bestehen.
Da Beurteilungen zu Leistung und Verhalten stark von der Perspektive des Verfassers geprägt sind, ist es als Arbeitgeber empfehlenswert, verschiedene Zeugnisse des Bewerbers zu vergleichen. Kehren Aussagen wieder, kann man davon ausgehen, dass diese der Wahrheit entsprechen. Zudem rät Chantale Käser, interessante Bewerber auf fehlende Angaben direkt oder via Referenzen anzusprechen.
Vergleichen Sie verschiedene Zeugnisse. Kehren Aussagen wieder, so können Sie davon ausgehen, dass sie der Wahrheit entsprechen."
Chantale Käser,
Rekrutierungsspezialistin
Achtung vor Überinterpretation
Ob ein Arbeitszeugnis auf die eine oder andere Art eine Codierung enthält, ist also oft auch eine Interpretationsfrage. Keine Hilfe ist dabei übrigens Google. Denn laut der Suchmaschine steckt hinter jedem Satz eine versteckte Botschaft. Wer bei Google nach einer Übersetzung des Satzes «Seine Geselligkeit trug stets zur Verbesserung des Betriebsklimas bei» sucht, erhält als Interpretationsvorschlag, dass die Person ein Alkoholiker sei. Chantale Käser warnt daher, zu viel in ein Zeugnis hineinzuinterpretieren. Denn: «Es scheitert nicht an einer kritischen Formulierung im Arbeitszeugnis. Viel wichtiger ist es, dass der Lebenslauf vollständig ist und Lücken erklärbar sind. Den Rest soll die Person selbst erzählen. Entscheidend ist für mich das Interview, nicht das Zeugnis.»
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