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Arbeitgeber

Recruiting 4.0: Bewerbungsgespräche & Persönlichkeitsanalyse mit Robotern (Teil 2/2)

Kaum eine Branche kann sich der digitalen Automatisierung entziehen. Auch in der Personalsuche hat künstliche Intelligenz längst ihren Platz gefunden. Werden Jobinterviews bald nur noch von Robotern durchgeführt? Und wie nützlich sind digitale Tools zur Analyse von Persönlichkeit und Motivation? Lesen Sie Teil 2 unserer Serie «Robot Recruiting».

07. Juli 2017

Roboter sind für Bewerbende und Recruiter bei der Jobsuche respektive der Kandidatenselektion eine hilfreiche Unterstützung. Mensch und Maschine können voneinander profitieren, sich aber nicht ersetzen – so das Fazit unseres ersten Blogs zum Thema Roboterrekrutierung. Im zweiten Teil gehen wir einen Schritt weiter und fragen uns: Wie nützlich sind die digitalen Helfer im Analysieren der Persönlichkeit eines Bewerbers? Und: Welche Tools werden in der Praxis bereits erfolgreich angewendet?

Persönlichkeitstest mit Stimmenanalyse  

Computerunterstützte Persönlichkeitsanalysen spielen im Bewerbungsprozess eine immer zentralere Rolle. Deren Resultate liefern Personalverantwortlichen Indizien zu Charakter und Motivation des Kandidaten. Ein derzeit viel diskutiertes Beispiel eines solchen Tests ist die Software Precire. Ursprünglich nicht für den (alleinigen) Einsatz in der Rekrutierung konzipiert, kommt die Stimmenanalyse heute vermehrt auch im HR zum Einsatz. Precire basiert auf einem 15-minütigen Telefongespräch. Vom Job unabhängige, standardisierte Fragen wie «Was haben Sie am Wochenende gemacht?» liefern die Datenbasis. Analysiert werden unter anderem Wortwahl, Pausen, Sprachflüssigkeit, Komplexität von Sätzen oder Häufigkeit von Wörtern. Ein Algorithmus bewertet die Sprachproben und gleicht sie mit Datensätzen anderer Befragter ab. Daraus resultiert ein Persönlichkeitsprofil mit Angaben zu Denk- und Kommunikationsverhalten des Kandidaten – etwa, wie zielorientiert, ehrgeizig oder kontaktfreudig er ist.

Fazit: Persönlichkeitsanalysen wie Precire haben sich in der Rekrutierung bis jetzt noch nicht durchgesetzt. In der Praxis wird die Software derzeit insbesondere für Schulungen von Mitarbeitenden (etwa bei Callcentern) angewendet. Kritische Stimmen behaupten, Precire sei eine mehrbessere grafologische Analyse, die fehleranfällig sei und keine Gewissheiten liefere. Ein strukturiertes Interview in einem persönlichen Gespräch kann die Software sicherlich nicht ersetzen. Wenn überhaupt, dann sollten Stimmenanalysen in der Rekrutierung als eine von verschiedenen Massnahmen verwendet werden. Die zuverlässigsten Resultate bei Precire sind bei der Rekrutierung von den immer wieder gleichen Profilen zu erwarten.

Persönlichkeitstest mit Internetrecherche

Eine andere Methode zur Analyse der Persönlichkeit liegt der Software Crystal Knows zugrunde. Jeder Mensch hinterlässt Spuren im Internet. Diesen digitalen Fussabdruck nutzt die App als Datenbasis. Crystal Knows bewertet dabei nicht nur jobspezifische Inhalte. Das Programm sammelt alle im Internet verfügbaren Informationen zu einem möglichen Mitarbeitenden zusammen und ordnet die gefundenen Tweets, Facebook- und Blogbeiträge einem von 64 Persönlichkeitstypen zu. Der Abgleich erfolgt über eine entsprechende Vergleichsgruppe. Diese ist auf Grund der riesigen Datenmenge natürlich sehr gross. Zu jedem Charakter liefert Crystal Knows spezielle Empfehlungen: Wie soll die Person per E-Mail angesprochen werden? Welche Art der Zusammenarbeit schätzt sie? Wie wird sie am besten rekrutiert?

Fazit: Sei es wegen der Datenschutzproblematik oder des Eingriffs ins Persönlichkeitsrecht: Algorithmische Charakteranalysen bei Rekrutierungen sind umstritten. Die App arbeitet im Hintergrund, und die Kandidaten wissen meist nicht, dass eine Persönlichkeitseinschätzung über sie vorgenommen wurde. Dies ist beispielsweise in der Schweiz nicht erlaubt (siehe Blog Google check). Kommt dazu, dass die Systeme sehr fehleranfällig sind. Statt gesicherter Fakten liefern sie lediglich Hinweise zu möglichen Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften. Entsprechende Anwendungen gilt es daher unbedingt mit der nötigen Vorsicht zu nutzen.

Bewerbungsgespräch mit Roboter

Stellen Sie sich vor, Sie werden zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen und statt einem Personalverantwortlichen sitzen Sie plötzlich einem Roboter gegenüber. Was sich momentan noch utopisch anhört, könnte schon bald Realität sein. Ein ursprünglich als Begleiter für Demenzkranke und Autisten gedachter Roboter soll künftig auch in der Rekrutierung zum Einsatz kommen. Matilda, wie der Computer heisst, wurde von Forschern der Universität La Trobe in Melbourne entwickelt und mit 76 Fragen programmmiert. In einem rund halbstündigen Gespräch kann Matilda potenzielle Mitarbeitende zu deren Motivation, Karrierezielen, Stärken und Schwächen befragen. Der Computer ist gar in der Lage, Gefühle zu interpretieren. Kameras zeichnen während des Gesprächs nicht nur Gesprochenes, sondern auch Mimik und Gestik des Interviewten auf. Matilda erkennt Emotionen in den Gesichtern der Bewerber und kann spontan auf sie reagieren. Aus der Kombination von Antworten und Emotionen entsteht schlussendlich ein Persönlichkeitsprofil. Die verschiedenen Charaktertypen werden auch hier aufgrund von entsprechenden Vergleichsgruppen kategorisiert. Ziel soll es sein, Motivation und Passgenauigkeit eines Bewerbers zu entschlüsseln. Meint es der Kandidat ernst? Hat er ein wahres Interesse an der Stelle? Und: Wie gut passt er kulturell ins Unternehmen?

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Fazit: Keine Frage, das klassische Bewerbungsgespräch ist auch im digitalen Zeitalter nicht wegzudenken. Laut einer repräsentativen Umfrage von Careerplus gaben 2016 satte 100 Prozent der befragten KMU an, dass sie das Interview als Rekrutierungsinstrument verwenden. Unbestritten ist aber auch, dass sich das Bewerbungsgespräch mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz verändern wird. Im Vergleich zu Recruitern sind Roboter neutral in der Herangehensweise: Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe oder Aussehen haben im Gespräch keine Bedeutung. Matilda bleibt unvoreingenommen und sachlich. Wie weit ein Roboter aber wirklich abschätzen kann, dass jemand ins Team passt, bleibt fraglich. Ob die «Chemie» zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stimmt, können wohl auch in naher Zukunft am besten die jeweils Beteiligten entscheiden. Und auch wenn Matilda laut den Forschern empathiefähig ist – ein persönliches Gespräch kann selbst der intelligenteste Roboter (noch) nicht ersetzen.

Dass Menschen in Personalabteilungen ganz durch Roboter abgelöst werden, ist derzeit (noch) unvorstellbar. Gerade im HR spielt der zwischemenschliche Kontakt eine entscheidende Rolle. Trotzdem sollten sich HR-Fachleute vermehrt auch auf neue Technologien einlassen und eine positive Grundhaltung gegenüber der Digitalisierung einnehmen. Sie werden lernen müssen, mit Maschinen umzugehen und diese für ihre Zwecke zu nutzen. Ansonsten laufen sie Gefahr, den Anschluss an die Zukunft zu verlieren. Erfolgreiche Personalentscheide resultieren je länger, je mehr durch das Zusammenspiel von künstlicher und sozialer Intelligenz.

 

Lesen Sie hier Teil 1 unserer Serie «Robot Recruiting».