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Temporärarbeit
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«Wir können uns Festanstellungen nicht mehr leisten»

Arbeitnehmer wünschen sich mehr Flexibilität, Unternehmen Lösungen für den Fachkräftemangel. Ist Temporärarbeit die Zukunft? Dr. Marius Osterfeld, Geschäftsleitungsmitglied von Swissstaffing, über die Herausforderungen und Chancen neuer Arbeitsmodelle.

24. August 2022

Wir haben in den letzten Jahren gelernt, flexibel zu bleiben. Das gilt auch für die Arbeitswelt: Es gibt immer mehr Arbeitsmodelle – oder täuscht der Eindruck?
Flexible Arbeit entspricht dem Zeitgeist: Von 5 Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz arbeiten mindestens 1,3 Millionen in einem Flexwork-Modell. Wobei dieser Begriff bewusst weit gefasst ist: Wir zählen Festangestellte in einem tiefen Pensum dazu, da der geringe Beschäftigungsgrad ebenfalls Ausdruck ihres Flexibilitätsbedürfnisses ist. Ausserdem selbständig Erwerbende, Mehrfachbeschäftigte sowie Menschen, die auf Abruf arbeiten, oder Temporärarbeitende. Vor allem Letztere verzeichnen in den letzten Jahren ein grosses Wachstum.

Warum ist gerade Temporärarbeit im Trend? 
Seit Anfang der 1990er-Jahre hat sich die Temporärbranche mehr als versechsfacht. Während früher hauptsächlich junge Menschen Flexibilität suchten, gilt dies heute auch für Menschen mittleren Alters. Die Jungen von damals sind älter geworden. Ihr Bedürfnis nach Flexibilität blieb bestehen, doch sie möchten auch sozial abgesichert sein. Wer über einen Personaldienstleister temporär arbeitet, hat einen GAV, erhält alle Sozialleistungen, ist an einer Pensionskasse angebunden und hat Zugang zu Weiterbildungsfinanzierungen. Das ist mit der Selbständigkeit nicht gegeben. Daneben hat auch die Covid-19-Pandemie den Trend verstärkt, man hat die Unabhängigkeit zu schätzen gelernt. 

Ein gängiges Vorurteil lautet, flexible Arbeitsmodelle seien unsicher und würden Abhängigkeiten schaffen. 
Genau das Gegenteil ist richtig. Flexible Menschen können flexibel auf ihre Lebenssituation und auf neue Umstände reagieren. Damit nicht die Gefahr der Scheinselbständigkeit besteht, ist die temporäre Anstellung eine gute Lösung. Vor allem in Fällen, bei denen Freelancer für eine längere Zeit an einem Projekt arbeiten, wie dies etwa in der IT gang und gäbe ist. 

Früher ging man davon aus, dass Temporärarbeit vor allem für Menschen mit tiefen Qualifikationen attraktiv sei. Das entspricht offensichtlich nicht der Realität.
In der Welt der flexiblen Arbeit gibt es keine Einheitsgrössen. Das Spektrum reicht von der Studentin, die auf Abruf redaktionelle Tätigkeiten übernimmt, bis zum hochqualifizierten Technologieexperten, der Start-ups auf ihrem Weg zum Durchbruch begleitet. Heute sind viele Arbeitnehmer auch in Fachbereichen temporär tätig. Sie haben sich bewusst für ein flexibles Lebensmodell entschieden. Es ist ein Arbeitsmodell für alle Bevölkerungsschichten. 

Inwiefern profitieren Unternehmen von temporären Arbeitsformen?
Die Unternehmen werden produktiver, innovativer, agiler und damit profitabler. Sie sind besser für Krisenzeiten gewappnet. Auch indem Temporärarbeit ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein kann. Denn wer Temporär- und Festangestellte geschickt kombiniert, kann die Situation erheblich verbessern. In einem solchen Modell bilden Festangestellte den Rahmen, sie tragen das unternehmensinterne Wissen. Die Spezialistinnen und Spezialisten werden projektbasiert nach Bedarf hinzugezogen. In Anbetracht des Fachkräftemangels können wir uns als Gesellschaft gewisse Festanstellungen irgendwann nicht mehr leisten. Wir müssen unsere Fachkräfte von einem Unternehmen zum nächsten ziehen lassen. 

Wo liegen für Unternehmen die grössten Herausforderungen?
Das Zusammenspiel zwischen Festangestellten und flexiblen Mitarbeitenden muss man aufeinander abstimmen – wie ein Dirigent sein Orchester. Dabei haben alle ihre Rolle sowie ihren Einsatz zum richtigen Zeitpunkt. Das zu koordinieren, ist herausfordernd und bedingt neue Prozesse und Strukturen. Die Arbeitgeber müssen genau trennen, was die Aufgaben und Funktionen der Festangestellten sind und was punktuell temporäre Fachspezialisten übernehmen. Auch wenn das so einfach klingt – es muss gut durchdacht sein. Viele Unternehmen in der Schweiz haben dort Fragezeichen, da zu diesem Thema noch wenig Wissen vorhanden ist. 

Welche Positionen werden von Unternehmen besonders häufig gesucht und in welchen Branchen?
Das temporäre Arbeitsmodell eignet sich gut für Branchen, bei denen Arbeitnehmer ihr Fachwissen möglichst schnell einsetzen können. Das schafft in einem Unternehmen sofort eine grosse Entlastung. Konkret sind das Branchen wie die Pflege, der Bau, die Informatik, die Tourismusbranche, die Gastronomie sowie die Industrie. Auch im Finance-Bereich liegt ein Potenzial, da die Spezialistinnen und Spezialisten gezielt in einem Projekt eingesetzt werden können. Natürlich braucht es einen festangestellten Buchhalter, der über alle Konten Bescheid weiss. Aber für ein spezifisches Expertenwissen, zum Beispiel zu den neusten IFRS-Regelungen, kann ein Experte Unterstützung bieten. Es ist alles eine Frage des Zusammenspiels. 
 

Dr. rer. pol. Marius Osterfeld ist Ökonom und Geschäftsleitungsmitglied bei Swissstaffing, dem Arbeitgeberverband der Personaldienstleister. Swissstaffing vertritt die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Seit 2012 ist Swissstaffing Sozialpartner des GAV Personalverleih, eines der grössten Gesamtarbeitsverträge der Schweiz.

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